Auch Langschläfer sind produktiv

von Monster Contributor

Leistungsunwillig und undiszipliniert: Spätaufsteher kämpfen noch immer gegen Vorurteile. Dabei, sagt Buchautorin Bettina Hennig, sind sie hochproduktiv – wenn man ihnen den Rhythmus lässt, der ihrer Natur entspricht.

Von Vera Sohmer

Frau Hennig, wie lange schlafen Sie in der Regel?

Seit ich freiberuflich arbeite, stehe ich um 9 Uhr auf.

Also dann, wenn andere die erste Arbeitspause einlegen?

Sehen Sie, genau dies ist der Grund, warum ich eine Lanze für Langschläfer breche. Wer später aufsteht, so wie ich, muss sich andauernd Sprüche anhören wie „Na, auch schon wach?“ oder „Du verpennst ja den ganzen Tag“. Man gilt als faul. Dabei sind Spätaufsteher sehr produktiv. Sie arbeiten einfach zu anderen Zeiten als Frühaufsteher.

Spätaufsteher schlafen insgesamt nicht länger, sie haben einfach einen anderen Rhythmus?

So ist es. Sie kommen mit der normalen Schlafmenge aus, die bei rund sieben Stunden liegt. Spätaufsteher schlafen einfach länger in den Tag hinein, bleiben dafür aber länger auf und arbeiten oft abends oder nachts. Das freilich sieht keiner. Offensichtlich hingegen ist, wenn jemand erst um 11 Uhr den Briefkasten leert – und sich dafür bei der Nachbarin fast entschuldigen muss. Sie ist schliesslich schon seit früh morgens wach und hat schon die Hälfte ihres Tagespensums abgearbeitet.

Woher kommt es, dass Spätaufsteher als Faulenzer und Leistungsverweigerer gelten?

Es hat mit einem althergebrachten Arbeitsethos zu tun. Der Vorstellung, dass nur, wer früh auf den Beinen ist, etwas leistet, als diszipliniert und charakterfest gilt. Ausschlafen hingegen wird als Charakterschwäche eingestuft. Daher kommt auch die Ermahnung, mit etwas mehr Selbstbeherrschung sollte es doch kein Problem sein, früher auf der Matte zu stehen.

Sie meinen die Empfehlung, früher ins Bett zu gehen, um zeitiger aufstehen zu können?

Genau, aber dies ist ein Trugschluss: Der chronobiologische Typus ist angeboren. Daher ist es Unsinn, Langschläfern vorzuwerfen, dass sie morgens nicht ansprechbar sind. Sie können nichts dafür. Ebenso wenig wie Frühaufsteher etwas dafür können, dass sie zeitig aus den Federn kommen. Es handelt sich nicht um eine besondere Leistung, sondern um eine biologische Disposition.

Wie viele Menschen gelten als Langschläfer?

Diversen Studien zufolge sind mehr als 65 Prozent der Menschen Spätaufsteher, sogenannte Eulen, weitere 20 Prozent tendieren zum Eulentum. Nur 15 Prozent sind Frühaufsteher, sogenannte Lerchen.

Demnach wird die Mehrheit der Menschen in einen Rhythmus gezwängt, der ihrer Natur zuwiderläuft?

Ja, und dies mit gravierenden Folgen.

Welche Folgen?

Ständig gegen die eigene, innere Uhr leben zu müssen, macht krank, dick und dumm. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Beschwerden, Bluthochdruck, Arthrose und Diabetes ist erhöht. Man ist anfälliger für Konsumgifte wie Alkohol und Nikotin. Und neigt dazu, mangelnde Energie mit hochkalorischen Lebensmitteln zu kompensieren. Man lebt gefährlicher. Schlafdefizit führt häufig zum Sekundenschlaf, was schwere Unfälle im Strassenverkehr und an Maschinen verursachen kann. Hinzu kommen fatale ökonomische Folgen. Wenn das Credo „Morgenstund hat Gold im Mund“ auch für jene gilt, die morgens nicht fit sind, mindert dies deren Schaffenskraft. Es wird nicht deren volle Leistungsfähigkeit abgeschöpft.

Was fordern Sie?

Wir ticken noch immer wie zu Zeiten der industriellen Revolution, als der Takt der Maschinen den Rhythmus der Menschen vorgab. Das ergibt in einer Welt moderner Kommunikationsmittel und globalisierter Märkte keinen Sinn mehr. Wir brauchen endlich Schichtpläne, die nach chronobiologischen Typen zusammengestellt sind. Und wir brauchen flexible Arbeitszeiten. Studien zeigen, dass dies Teams leistungsfähiger macht, die Krankenstände vermindert. Es hat Vorteile, dann arbeiten zu können, wenn man wirklich ausgeschlafen ist. Denn nur dann bekommt der Arbeitgeber von allen die beste Zeit. Die Mehrzahl der Eulen wäre mit einem Arbeitsbeginn zwischen 10 und 10.30 Uhr schon zufrieden.

Sie schreiben, flexiblere Zeiten können die Arbeitswelt entschleunigen. Warum?

Heute wollen alle etwas zur gleichen Zeit, also ballt sich die Bedürfnislage zum Beispiel morgens. In einer entzerrten Arbeitswelt hingegen gäbe es keine Staus mehr. Oder keine langen Schlangen an den Kassenschaltern zu bestimmten Stosszeiten. Das Warten in der Kantine würde ebenso entfallen wie das morgendliche und abendliche Gehetze zur Kindertagesstätte. Deshalb wäre eine Welt der Langschläfer entschleunigt – und täte damit allen gut.

Buchtipp: Bettina Hennig: Der frühe Vogel kann mich mal. Ein
Lob der Langschläfer. Ullstein Taschenbuch
 

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